Pressefreiheit vs. Diktat der Anzeigenkunden
Doch fühlt sich ein Journalist dem Pressekodex gegenüber mehr verpflichtet als dem Anzeigenkunden, kommt flugs eine Beschwerde. Verlage knicken ein und hilft die Beschwerde nichts, dann droht der Rauswurf des 'Quertreibers'. Kein Einzelfall, wie Beobachtungen im Umfeld der Regionalzeitungen zeigen. Eine Berichterstattung über Unternehmen, welche das Prädikat 'kritisch' verdient, wird immer seltener bei kleinen und mittleren Regionalzeitungen. Anzeigenkunden können größere Inseratserien jederzeit stoppen und haben dadurch ein nicht zu unterschätzendes Einflusspotential auf Verlage - und deren Redaktionen. Recherchiert und veröffentlicht eine Redaktion kritische Berichte über regionale Unternehmen, ist damit oft der journalistische Selbstmord besiegelt.
Viele Zeitungsinhaber erhöhen systematisch den Kostendruck auf die Redaktion. Personal wird reduziert, redaktionelle Aufgaben an externe Dienstleister vergeben. Ergebnis: Es verbleibt immer weniger Zeit für kritischen Journalismus oder um Hintergründe zu beleuchten und Recherchen anzustellen. Diese Umstände versetzen Anzeigenkunden in eine komfortable Lage: Worüber und mit welchem Tenor geschrieben wird, bestimmen zunehmend auch Anzeigenkunden. Pressekodex und Wettbewerbsrecht verbieten zwar genau dies, doch die gängige Praxis zeigt ein ganz anderes Bild. Spricht der Presserat den Verlagen eine Rüge aus, wird diese abgeheftet. Papier ist eben geduldig.
Für einen kritischen Journalismus ist dieses unsichtbare Marktgefüge der Todesstoß. Das Gesetz des Stärkeren hat bei Regionalzeitungen Einzug gehalten: Droht ein großer Anzeigenkunde mit der Stornierung von Anzeigenaufträgen, weil ein Redakteur kritisch über den Auftraggeber berichtet, liegt akute Jobgefahr in der Luft. Verlierer sind die objektive Berichterstattung und die Meinungsbildung. An dessen Stelle tritt dann eine Art Journalismus der Beliebigkeit, ein der Journalismus schönredet. Investigativer Journalismus wird zu Grabe getragen. Es ist an der Tagesordnung, über Firmen an prominenter Stelle positiv zu berichten, wenn diese Firmen Anzeigen schalten.
Die Redakteure passen sich aus Angst um Ihren Job an und nicken nur noch stumm, wenn wieder einmal die redaktionelle Berichterstattung mit Werbung vermischt wird. Der Presserat bezeichnet diese Machenschaften als 'gekauften Journalismus'. Doch verhindern kann der Presserat diese Absprachen nicht. Pressekodex als Papiertiger? Es sieht so aus. Die Berichterstattungen über Firmen, die das Prädikat 'kritisch' verdienen, werden seltener. In diesem Kontext wirkt die Pressefreiheit dann eher als Störfaktor. Anzeigenkunden nehmen hinter dem Rücken der Redaktion indirekt Einfluss auf die die redaktionelle Berichterstattung. Auf der Strecke bleibt die Pressefreiheit.