Ein Gespräch im Hause Stein über die Abwesenheit des Dichters Goethe

Verfasst von: Dipl. Päd. u. Theaterpädagogin Selena Plaßmann
 Renaissance-Theater Berlin
Renaissance-Theater Berlin  Bild: Selena Plaßmann
Im kleinen Haus des Staatstheaters Dresden wurde am 20 März 1976 ein dramaturgisch vollendetes Monodrama über den abwesenden Johann Wolfgang von Goethe uraufgeführt. Das weltweit gespielte Bühnenwerk des verstorbenen Autors Peter Hacks befindet sich derzeit im Repertoire des Renaissance-Theater Berlin. Anika Mauer, die an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst-Busch studierte, beeindruckt in ihrem solistischen Schauspiel. In ihrer Darstellung repräsentiert sie eine moderne Version der Frau von Stein.

Frau von Stein verteidigt sich in dem Schauspiel-Welterfolg gegenüber den Vorwürfen der Weimarer Gesellschaft, die sie für den unerwarteten Abschied von Johann Wolfgang von Goethe verantwortlich macht. In ihrem Monolog spiegeln sich ihre ambivalenten Gefühle die sie mit ihrer Liebe zu dem Dichter verband. Ihre Verehrung für seine Kunst war leidenschaftlich und hingebungsvoll. Sie war seine Mentorin für Gepflogenheiten am Hof, dabei konzentrierte sie sich darauf, seinen künstlerischen noch ungeordneten Gedanken eine Richtung zu geben. 1786 reiste Goethe diskret nach Italien um den gesellschaftlichen Verpflichtungen in Weimar, wo er als Verwalter angestellt war - was mit seinem Dichtertum kollidierte - und seiner verwickelten Liebesbeziehung mit Charlotte von Stein zu entkommen.

Wendeltreppe im Renaissance-Theater (Bild: Selena Plaßmann)

Charlotte von Stein, einst Hofdame der Herzogin Anna Amalia faszinierte die höfische Gesellschaft durch ihre tiefgründige Empfindsamkeit, gepaart mit einer seltenen Anmut. Sie wehrte sich gegen ihre Gefühle über die platonisch-künstlerische Verbindung mit Goethe hinaus, dem Wunsch nach Sinnlichkeit nachzugeben. Eine Offenbarung ihrer „verbotenen“ Gefühle hätte eine Ehescheidung heraufbeschwören können, die ohne Repressalien und sozialen Abstieg in einer absolutistisch geprägten Gesellschaft undenkbar gewesen wäre. Ehen wurden abgesehen von bösartigen Verfehlungen auf Lebenszeit geschlossen. Ob ihre Beziehung rein platonisch oder gleichsam erotischer Natur war, hat zu zahlreichen Spekulationen geführt. Ihre Enttäuschung über Goethes Abschied verschleierte ihr die Einsicht und Klarheit in sein Wesen. Das Gespräch über seine Abwesenheit im Hause Stein klingt wie eine kopfgesteuerte Rechtfertigung an das gesellschaftlich Gebotene.

Sbocco (Bild: Selena Plaßmann)

Auf seiner Reise durch Italien erlebte der junge Goethe ein freieres Leben, was in ihm Empfindungen der Leichtigkeit und Grazie erweckte. Die Transformation des Künstlers, den das Wissen um eine höhere Existenz bei der Gestaltung erfahren kann, beseelte ihn. Dennoch kreisten seine Gedanken weiter um die Geliebte, worüber Frau von Stein allerdings in Unkenntnis war. Sie wusste nichts von seinem Reisetagebuch, indem er weniger die Denkmäler der Gotik und des Barocks würdigte, als die geliebten Gespräche mit ihr fortzusetzen suchte: *Ich werde hier Zeit finden dir meine Gedanken mitzuteilen (…) Heut war ein vollkommen schöner und froher Tag an dem mir nichts fehlte als du.(...) Komm ich zurück und du bist mir hold, so sollst du auch um mein Geheimnis wissen.* Auszüge aus seinem Briefen an Frau von Stein stehen in digitalisierter Originalschrift unter www.klassik-stiftung.de.

Impression (Bild: Selena Plaßmann)

Ein Frühlingstag im Lustschloss des Herzogs von Ferrara, ist der Schauplatz Goethes Theaterstück über den italienischen Dichter Torquato Tasso. Es handelt von der Rolle des Dichters in der höfischen Gesellschaft. In diesem Drama das sich streng an den klassischen Regeln der Einheit von Ort, Zeit und Handlung orientiert, versucht Tasso ein goldenes Zeitalter zu errichten. Die glühende Liebe die Tassos für die Prinzessin empfindet „Das göttliche erfuhr ich nur in dir“, führte zu Mutmaßungen, ob Goethe damit seinen Gefühlen für Frau von Stein ein Denkmal setzen wollte. Den Abschluss seines Schauspiels Iphigenie von Taurus, was er während seiner Weimarer Zeit vorbereitet hatte, schrieb Goethe ebenfalls auf seiner italienischen Reise. Auch die Figur der Iphigenie trägt ihre Wesensmerkmale. Ohne Stand und Namen wollte Goethe für diese Liebe in der „freien Welt“ leben.