Unverfügbare Texte

Verfasst von: Marion Wolters
Es gibt seltsame Texte, die zwischen zwei Abschnitten stehen. Wertvolle Texte, die nicht in alle Länder verkauft werden, weil explizit auf der ersten Seite steht, dass sie nicht außerhalb des eigenen Landes veräußert werden dürfen. Es gibt Texte, die bewusst nicht in eine internationale Sprache übersetzt werden, unverfügbar sind und bleiben. Eine Unverfügbarkeit, die sich auch auf öffentliche Meinungsäußerungen übertragen lässt.

1948 hat Elisabeth Noelle-Neumann zusammen mit ihrem Mann Erich Peter Neumann das erste Meinungsforschungsinstitut in Deutschland gegründet, das allgemein als "Institut für Demoskopie Allensbach" bekannt ist. Frau Noelle-Neumann schrieb außerdem über das von ihr erdachte Modell der "Schweigespirale" ein in viele Sprachen übersetztes Buch. Vereinfacht geht es darum, dass Menschen Angst haben, sich sozial zu isolieren. Daher werden sie sich nicht äußern, wenn sie die Vermutung haben, dass sie sich gegen eine Mehrheitsmeinung stellen würden. Wobei sie nicht sicher wissen, ob es sich tatsächlich um eine Mehrheitsmeinung handelt.

Während die Menschen der vermuteten Meinungsmehrheit diese offensiv vertreten, beginnen die Menschen, die sich in der Meinungsminderheit wähnen, zu schweigen und ihre Vorstellungen nicht mehr verfügbar zu machen. Menschen, die in der Politik arbeiten, kennen diesen sozialen Mechanismus. Sie wissen, dass man ihn dadurch aushebeln kann, indem man eine Meinung, die nicht die Mehrheitsmeinung ist, als solche darstellt. Eine nicht unübliche Form der Manipulation, der man immer mal wieder - durchaus auch in anderen Zusammenhängen - begegnen kann. So machen politisch arbeitende Menschen, die wählbar und im Amt bleiben wollen, ihre Ansichten nur teilweise öffentlich verfügbar.

Die Spannbreite ihrer Ansichten ist auf ein kleines Fenster begrenzt. Hier sei das Mitte der 1990er Jahre erdachte Modell des Overton-Fensters genannt, das nach seinem Schöpfer, Joseph P. Overton, benannt wurde. Politische Äußerungen werden auf einer Scala eingeordnet. An den äußeren Rändern stehen z.B. Kriterien wie "undenkbar" oder "radikal". In der Mitte befinden sich die durch ein Fenster eingerahmten populären Änderungen. Je mehr sich politische Amtsträger politischer Äußerungen bedienen, die aus diesem verkleinerten Spektrum stammen, für desto wahrscheinlicher wird es gehalten, dass sie im Amt bleiben bzw. dass sie wiedergewählt werden.

Vorstellbar wäre, dass man sich innerhalb dieses kleinen Fensters frei fühlt, doch auch irgendwann gelangweilt. Sich zu fragen beginnt: "Wie macht man seine eigenen Ansichten, Ideen, Lebensaspekte wieder für sich selbst verfügbar?" Ein Ansatz ist Unmittelbarkeit. Man betrachtet seine Wirklichkeit und fragt sich, was die eigene Realität der Unmittelbarkeit ist. Bewusstsein? Die aktuelle Umgebung/Situation? Etwas anderes? Dabei kann es passieren, dass man zu Einsichten gelangt, die das jetzige Leben von jetzt auf gleich unmöglich machen und ein neues Leben offerieren. Unmittelbarkeit in Aktion. Das kann auch passieren, wenn man dieses - übrigens weltweit verfügbare - Musical/Buch über Unmittelbarkeit liest: "MUSICAL IMMEDIACY". https://www.brainguide.de/Marion-Wolters/publikationen?offset=10